Djamila von Tschingis Aitmatow
Theateradaption/Text/Regie: Katharina Kummer Premiere am tjg Dresden 2022
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Mit:
Ulrike Schuster
Alina Montana Weber
Uwe Steinbach
Carlo Silvester Duer
& Statisterie
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Djamila nach Tschingis Aitmatow
Regie und Text: Katharina Kummer
Bühne, Kostüme und Objekte: Julia Bosch
Musik: Jan Leitner
Dramaturgie: Ulrike CarlPhotos: Klaus GiggaPhotos: Klaus Giggaå
Photos: Klaus Gigga
VOICE:
Besonders hervorzuheben sind vier Statisti:innen, die zunächst im Publikum per Spotlight Live-Applaus und Lacher erzeugen und schließlich auf der Bühne wunderschön dreistimmig mit Akkordeonspiel russische Volkslieder singen. Zu historischen und lokalen Referenzen sowie volksmythologischer oral history gesellen sich zeitgenössische Anleihen, die die Handlung aus Raum und Zeit in einen unbestimmten Möglichkeitsraum entgrenzen. (…) Anstatt eine Geschichte lediglich mit Puppen und Figuren „durchzuinszenieren“, nutzen die vier Puppenspieler:innen unter der Regie von Katharina Kummer vielfältige Spielweisen, Techniken und Elemente aus Puppen- und Objekttheater für eine sehr spezifische Form der Darstellung, die mit unterschiedlichen Formen von Narration und Re:Präsentation spielt – und ihrer Kritik im Epilog selbstironisch vorgreift: „Sie machen das Puppentheater kaputt!“, schreit der junge Said, eine kleine Gliederpuppe mit Pappschildgesicht aus dem (Guckkasten-)Fenster eines Wohnwagens schleudernd. (…) Dass zwischen flapsigen Kommentaren, Illusionsbruch und Brechthaften Exkursen immer wieder etwas von der die Novelle auszeichnenden Fragilität junger Liebe, Hoffnung auf das bessere Leben und Glauben an die Kunst aufscheint, ist neben dem hohen Unterhaltungswert ein zentraler Effekt der herausfordernden Vitesse der Inszenierung. Das junge Publikum scheint angetan, in der Presseriege raunt es Verrisse. Es lohnt sicher, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Deutsches Forum für Figurentheter und Puppenspielkunst, Jessica Hölzl
INTERVIEW:
Fragen an die Regisseurin
Katharina Kummer
Stell Dich doch mal kurz vor …
Ich bin Regisseurin und Autorin, komme vom Puppentheater und habe einen sehr eigenen Zugang zu diesem Metier entwickelt. Für mich ist alles eine Puppe, dem ich ein Leben unterstelle- also auch das Licht, wenn es agiert, und nicht nur dekoriert, die Dinge, die Wörter, Elemente. Die Welt des Puppentheaters ist eine beseelte Welt, in der nicht nur Menschen leben, sondern every-body, jeder Körper, alles Seiende.
Worum geht´s in „Djamila“?
Um die kirgisische Landschaft, um die Regeln von Familienclans und Stammesgesellschaft, um den Wahnsinn der Liebe, die das Potenzial weckt die Regeln zu sprengen, um das Unheil, das Kriege hervorrufen, um das Bedürfnis, einen Ausdruck zu finden fürs eigene Welterleben. Das erwacht in dem Jungen, aus dessen Augen wir auf die Liebesgeschichte gucken.
Was reizt Dich besonders an dem Stück?
Es ist ja erstmal kein Stück. Es ist eine Novelle von Tschingis Aitmatow. Von dieser angestoßen habe ich ein Stück geschrieben und auf Grundlage meines Stückes habe ich dann mit allen zusammen, dem Team hinter und auf der Bühne, die Inszenierung erschaffen. Die Novelle ist also von Aitmatow, das Stück von mir und das Theaterereignis von uns allen!
Auf die Frage, was mich besonders reizt, gibt es also drei Antworten:
Was mich an Aitmatows Novelle reizt, ist, dass - auch wenn sie oft als Liebesgeschichte deklariert wird - aus meiner Sicht die Landschaft quasi die Hauptfigur des Textes ist. Sie ist eine magische Landschaft. Aitmatow transportiert diese Landschaft und ihren Zauber zu uns.
Bei der Arbeit an meinem Stück reizte mich, dass ich viele Stimmen und Perspektiven in ihm verwebt habe. Während die Novelle in erster Linie aus der Sicht des Jungen erzählt, guckt mein Stück aus vielen Augen. Aus den Augen der einzelnen gestalten des Buches aber auch aus den Augen der Steppe, der Tiere, der Augustnacht, aus der Vergangenheit und vielen mehr. Ich habe auch Gedanken von Interviewpartnerinnen in meinen Text verwoben, mit denen ich mich über die Motive in Aitmatows Novelle ausgetauscht habe. Das Stück blickt also aus vielen Augen und spricht in vielen Stimmen. Aitmatow hat in seinem Text die Landschaft Kirgisiens gezeichnet und ich habe davon ausgehend eine Text-Landschaft gebaut, die ein wilder Spaziergang geworden ist.
An der Inszenierung reizt mich, dass sie so viele Gegensätze zusammenbringt. Sie verbindet unterschiedlichste Welten, die sich, statt sich gegenseitig in die Quere zu kommen, den Rücken stärken und einander halten durch ihre maximale Gegensätzlichkeit. Ein Beispiel ist Jan Leitners dystopische elektronische Musik in Kombination mit der Djamila-Story. Gehalten von der klugen abstrakten musikalischen Landschaft kann der Romantizismus des Aitmatowschen Erstlingswerks ungebremst ausgekostet werden. So können wir uns sogar Kitsch leisten. Und unterschiedlicher als Jans Musik könnte der russisch singende Chor mit Akkordeon nicht sein, der spielt, bevor die Liebenden miteinander durchbrennen.
Außerdem reizt mich, dass wir Menschen darstellen, die man zunächst als schlicht empfinden und unterschätzen könnte und die uns dann dadurch, dass wir erst in eine quasi realistische Bauwagenlandschaft blicken, die nach und nach von großer Magie erfüllt wird, völlig überraschen mit ihrer Klugheit, ihrer Zartheit, ihrem Feuer, ihrer Schönheit.
Wie viel Inhalt aus dem Buch wird in Deiner Inszenierung zu sehen sein?
Viel. Die Magie der Landschaft. Das, was ich oben über Puppentheater gesagt habe steckt an allen Ecken und Enden der Inszenierung. Alle Elemente - Menschen wie Dinge wie Motive hängen wie ein Ökosystem zusammen. Die Motive des Stückes: Krieg, Landschaft, Clan, Nomadentum, Liebe als Potenzial zum Überschreiten dessen, was man sich bis dato denken konnte und „die Kunst“ sind die Motive, um die auch uns bewegt haben.
Du inszenierst „Djamila“ für junge Erwachsene.
Wie passt Du Deinen Inszenierungsstil an diese Zielgruppe an?
Ich nehme sie ernst - indem ich den sogenannt „jungen Erwachsenen“ eben gerade keine an sie angepassten mundgerechten Häppchen zurechtschneide. Sie bekommen das ganze Buffet. Ich glaube nicht an diese Art Zielgruppen-Labeling. Alter ist schließlich nur eine Kategorie von so vielen, die einen Menschen ausmachen. Insofern arbeite ich immer - ob für „Erwachsene“ ausgeschrieben oder für Kinder - so, dass meine Arbeit für unterschiedlichste Zuschauerinnen zugänglich ist.
Ich habe den Anspruch, dass jeder Mensch den Kern meiner Inszenierung begreifen kann, weil das Wesen des gemeinsam Erlebten sich in jedem Fall vermittelt - über die Bilder, die Worte, die Musikalität und die Affektstruktur gleichermaßen. Zunächst so, wie es auch bei einem Naturerlebnis wäre: wenn unterschiedliche Menschen miteinander spazieren gehen, erleben sie auch die gleiche Landschaft, aber ein britischer Ornitologe nimmt dasselbe Volgelgezwitscher anders wahr als eine georgische Dirigentin aber vielleicht sogar ähnlich wie eine alte österreichische Dame. Wäre der Vogel dann teil meiner Inszenierung, würde auch ein gehörloses Kind sein Wesen erleben können, da der inszenierte Vogel in der Landschaft des Stückes sichtbar gemacht und mit einem Rhythmus versehen würde.
So erleben unterschiedliche Menschen die Inszenierung auf unterschiedlich Weise und aus ihrem jeweils unterschiedlichen Blickwinkel, Aber alle bekommen den Kern der Sache mit. Junge, alte, welche, die ein deutsches Gymnasium besucht haben genauso wie welche, die weder lesen noch schreiben können, welche, die die ganze Welt bereist haben, wie welche, die ihr Leben lang an einem Ort waren und so fort.
Mit welchem Gefühl soll das Publikum die Vorstellung verlassen?
Gefühle sind keine künstlerische Kategorie. Gefühle haben alle. Ständig. Ich will ein Erlebnis erschaffen, in dem die Menschen fühlen dürfen, was sie wollen. Das Erlebnis, das ich beschere ist allerdings präzise gestaltet. Im Fall dieser Inszenierung geht es darum, die Magie im Alltäglichen zu erkennen, die Verbindung der größten Polaritäten als befruchtende Kraft zu erleben und den Mut zu befeuern, sich auf etwas einzulassen, das man noch nicht versteht, zumindest nicht mit dem Verstand, sondern erstmal unter der Haut oder in den Unterströmungen des eigenen Bewusstseins.
Welche Szene hat Dir anfangs große Kopfschmerzen bereitet?
Keine.
Welche Szene macht Dir besonders viel Spaß?
Nicht eine einzelne Szene macht mir besonders viel Spaß, sondern die besonderen Spieler! Wie jede ihre Seele reingibt, wie unterschiedlich alle auf der Bühne sind. Ich habe sie in ihrer Eigenheit unterstützt, statt zu versuchen, alle in dieselbe Spielweise zu pressen. Jeder ist ihr eigener Planet. Ich habe mich zuerst gefragt, wie ich mit vier Menschen die ganze Dorfgemeinschaft erzeugen soll. Dadurch, dass jetzt die vier und dann noch die Sängerinnen und der Akkordeonist jede für sich eine so reiche Welt mitbringen, habe ich den Eindruck eines großen, weltumspannenden Dorfes aus vielen Generationen und unterschiedlichsten Typen.
Dein Lieblingszitat zum Schluss:
Lieblingszitat Aitmatow:
Schön und unheimlich sind die Nächte im Tal des Kukureu.
Lieblingszitat aus meinem Stück:
Ich - seit ich gesungen habe, verkörpere einen Schmerz, dem man sich dann zuordnet.